Was Deutschland vom Glasfasermodell der Nordics lernen kann – und warum die Zeit drängt

Ein Blick nach Skandinavien zeigt: Schweden, Norwegen und Finnland haben Glasfaser längst als strategische Infrastruktur etabliert – mit hoher Abdeckung, offenen Netzen und digitaler Selbstverständlichkeit. Deutschland hingegen kämpft noch mit niedrigen Aktivierungsquoten und strukturellen Hürden. Dieses Essay zeigt, welche politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Faktoren die Nordics erfolgreich machen – und welche Schritte Deutschland jetzt gehen muss, um den Rückstand aufzuholen.

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Ende 2024 vermeldete die deutsche Branche stolz: Knapp die Hälfte aller Haushalte ist anschließbar an ein Glasfasernetz. Ein Meilenstein, ohne Frage – aber der Blick nach Norden zeigt, wie relativ diese Zahl ist.

In Schweden nutzen schon heute über 70 % der Haushalte Glasfaser aktiv. Norwegen kratzt an der Vollversorgung und selbst Finnland, lange Schlusslicht der Region, schließt mit hohem Tempo die letzten Lücken. Die entscheidende Differenz: In den Nordics wird Glasfaser als strategische Infrastruktur verstanden, nicht als Produkt, das man irgendwie „an den Mann bringen“ muss.

Während Deutschland noch mit Förderverfahren, Überbau-Debatten und teils widersprüchlichen Marktanreizen ringt, ist Glasfaser in Skandinavien längst so selbstverständlich wie Leitungswasser. Der Unterschied ist kein Zufall – er steckt in politischen Entscheidungen, Marktlogiken und einer digitalen Kultur, die bei uns erst im Entstehen ist.

Infrastrukturpolitik mit Langstrecken-Denken

Die erste Lehre: Langfristigkeit schlägt Quartalslogik.

Schweden begann bereits in den 1990ern, Glasfaser als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge zu behandeln. Kommunen bauten eigene Netze, um sicherzustellen, dass digitale Teilhabe nicht vom Profitinteresse einzelner Carrier abhängt. Stadtwerke wie Umeå Energi oder Versorger wie Lyse in Norwegen investieren nicht in „lukrativen Straßen“, sondern in ganze Regionen – auch dort, wo die Amortisation Jahre braucht.

In Deutschland dagegen dürfen Kommunen nur selbst bauen, wenn kein privater Anbieter will. Das ist, als dürften Städte Straßen nur dann anlegen, wenn kein Bauunternehmen freiwillig kommt. Die Nordics zeigen: Infrastrukturplanung gehört in die Hand derer, die auch Verantwortung für den Standort tragen – und die Rendite nicht allein in Euro messen.

Open Access: Wettbewerb auf dem Netz, nicht um das Netz

Der zweite Unterschied ist strukturell: Open Access ist in Schweden und Norwegen die Regel. Der Netzbetreiber baut, pflegt und betreibt die Glasfaser – und öffnet sie für alle Anbieter, die darauf Dienste anbieten wollen.

Das Ergebnis:

  • Keine parallelen Tiefbauprojekte in derselben Straße
  • Mehr Auswahl für Endkunden (in Schweden oft 5–10 Provider pro Anschluss)
  • Schnellere Amortisation und bessere Netzauslastung

Deutschland dagegen setzt historisch auf Infrastrukturwettbewerb: Jeder baut sein eigenes Netz. Das hat in Städten teils doppelte und dreifache Glasfaserleitungen geschaffen, während ländliche Gebiete warten. Erst seit wenigen Jahren wächst das Bewusstsein, dass gemeinsamer Netzausbau effizienter ist – aber Open Access ist hierzulande noch zu oft freiwillig statt verpflichtend.

Digitale Kultur: Glasfaser als Selbstverständlichkeit

Technik allein reicht nicht – sie muss auch gewollt werden.

In den Nordics gilt ein Haus ohne Glasfaser als unvollständig. Digitale Dienste – von E-Government bis 4K-Streaming – sind Teil des Alltags. Eigentümer sehen Glasfaser als Wertsteigerung, nicht als lästige Baustelle.

In Deutschland dagegen muss oft mühsam überzeugt werden: Infobriefe, Anrufe, Hausversammlungen – und trotzdem verharren Aktivierungsquoten oft unter 30 %. Selbst in ausgebauten Gebieten nutzen viele lieber ihr bestehendes DSL- oder Kabelprodukt.

Der Unterschied ist mental: Wo Glasfaser als Standard gilt, wird sie auch genutzt. Wo sie als „Upgrade“ verstanden wird, bleibt sie optional.

Vier Lehren für Deutschland

  1. Kommunale Steuerung ermöglichen – nicht nur als Lückenfüller, sondern als gleichwertige Option.
  2. Open Access verbindlich machen – damit Wettbewerb und Ausbauziele Hand in Hand gehen.
  3. Eigentümeransprache zentralisieren – einfache, einheitliche Prozesse statt Carrier-Chaos.
  4. Plattformlogik etablieren – Tarife, Verfügbarkeiten und Buchungsvorgänge an einer Stelle bündeln.

Es geht nicht nur ums Bauen

Die Nordics haben verstanden: Der Erfolg von Glasfaser entscheidet sich nicht im Tiefbau, sondern beim Kundenanschluss.

Infrastruktur, offene Zugänge und eine digitale Grundhaltung wirken dort wie Zahnräder ineinander. Deutschland hat jetzt die Chance, diese Blaupause zu adaptieren – oder sich weiter mit dem Ausbau einer Infrastruktur beschäftigen, die am Ende nur halb genutzt wird.

Glasfaser ist kein „Nice to have“. Sie ist das Fundament einer Wirtschaft, die in der Cloud arbeitet, und einer Gesellschaft, die überall und jederzeit verbunden ist. Die Nordics haben es vorgemacht. Wir müssen nur den Mut haben, es konsequent nachzumachen.

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